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Befreiung in unseren Händen in „Tibet und Buddhismus“

Rezension Pabongka Rinpoche: Befreiung in unseren Händen Band 1 und Band 2

Befreiung in unseren Händen 1 Titelbild„Lamrim“ ist das tibetische Wort für „Stufen auf dem Pfad“. Allgemein gibt es acht große Lamrim-Unterweisungen. „Befreiung in unseren Händen“ umfasst den Gehalt aller acht und ist neben Tsongkhapas Hauptwerk „Große Abhandlung der Stufen auf dem Weg“ (Lam rim chen mo) einer der berühmtesten Lamrim- Texte der Gelug-Tradition und gilt als besonders praxisbezogen.

Innerhalb der autochthonen tibetischen Literatur handelt es sich hier um einen Kommentar im eigentlichen Sinn, nämlich eine Niederschrift bzw. „Vorlesungsnotizen von Unterweisungen aus eigener Erfahrung“, also um die Mitschrift eines Schülers von den Unterweisungen seines Meisters, die dieser aus eigener Praxis-Erfahrung heraus lehrte. Der Schüler ist hier kein geringerer als der inzwischen verstorbene Juniortutor des gegenwärtigen Dalai Lama, Kyabje Trijang Rinpoche (1901-1982), ein direkter Schüler des berühmten Meisters Kyabje Pabongka Rinpoche Dechen Nyingpo (1878-1941).

Kyabje Trijang Rinpoche befand sich im Jahre 1921 in der Einsiedelei Chusang in der Nähe von Lhasa unter den 30 Lamas und Reinkarnationen der insgesamt 700 Zuhörer von Pabongkas-Unterweisungen, die insgesamt 24 Tage dauerten. Später wurde er von Pabongka Rinpoche aufgefordert, ein Buch herauszubringen und nur das aufzuschreiben, dessen er sich sicher ist. Da Kyabje Trijang Rinpoche das Buch erst 37 Jahre später nach sorgfältiger Überarbeitung zur Veröffentlichung brachte und weil er für sein genaues Arbeiten bekannt ist, können wir davon ausgehen, eine authentische Unterweisung vorliegen zu haben.

Befreiung in unseren Händen 2 TitelbildDer Text beginnt mit einer Einführung von Trijang Rinpoche und dann folgen vier Teile über Vorbereitungen, Vorbereitungsrituale, Grundlagen des Pfades und die Praxis für die „Wesen mit geringen Fähigkeiten“: kostbare menschliche Existenz, sich an den Tod erinnern, Wiedergeburt in den niederen Bereichen, Zufluchtnahme und das Gesetz von Ursache und Wirkung. Die einzelnen Kapitel entsprechen jeweils einem Tag der Unterweisungen.

Die Unterweisungen sind im typisch direkten Stil der Kadampa-Meister gehalten. So sagt Pabongka am letzten Tag zum Ende seiner Unterweisungen über Karma und seine Wirkungen: „Nun möchte ich darüber sprechen, wie man die Übung beginnt. Unterlasst jede Verfehlung, auch die kleinste, soweit ihr nur könnt. Seid ihr beispielsweise dabei, eine Laus zu töten, solltet ihr – auch wenn euer Fingernagel bereits über ihr schwebt – die Tat vermeiden, indem ihr euch sagt: „Es wäre nicht richtig.“ Entsteht der Wunsch zu lügen, seid achtsam und haltet den Mund. Die heilsamen Übungen werden nur allmählich entwickelt.“

Obwohl es sich um eine Übersetzung aus dem Englischen und nicht aus dem Tibetischen handelt, ist es ein Genuss, den Text zu lesen, der in klarer und einfühlsamer Sprache wiedergegeben ist. Der Bezug zum tibetischen Original ist nicht verloren gegangen. Besonders hilfreich ist der Anhang mit seinem Überblick über die Gliederung des Textes mit Kapitelnummer, Überschrift und Seitenzahl, Bibliographie und ausführlichem Glossar. Die zahlreichen und schön anzusehenden Abbildungen unterstreichen die sorgfältige und umsichtige Veröffentlichung.

Einziger Wermutstropfen ist die leidige englische Umschrift der Begriffe aus dem Tibetischen und insbesondere für den des Sanskrit kundigen Leser die inkorrekte Verwendung der Artikel „der, die, das“. Obwohl die deutsche Sprache die Möglichkeit gibt, das Sanskrit-Genus korrekt wiederzugeben, bevorzugt Claudia Wellnitz den „feministischen Ansatz“ von Eva de Buron, indem sie in der Zufluchtsformel alle drei Geschlechter vertreten sein lässt.

Wie in der Einführung zur englischen Übersetzung von Michael Richards haben die Lamrim-Lehren viel Neues und Ungewohntes zum Inhalt, insbesondere für den Menschen des abendländischen Kulturkreises. Wenn auch vom Stil her einfach zu lesen, so sind sie von der Praxis her doch nicht einfach zu „verdauen“. Ein echtes Meditationshandbuch, das für Menschen geschrieben ist, die den Dharma ernsthaft auf den eigenen Geist anwenden wollen.

Trotz Aufforderung, die Unterweisungen immer gleich in die Praxis umzusetzen, müssen einige Aussagen heutzutage trotzdem in ihrem speziellen historischen und gesellschaftlichen Kontext verstanden werden. Im Zweifelsfalle sollte man also vor dem Einüben Rücksprache mit dem eigenen Lama oder anderen Sangha-Mitgliedern suchen. Der zweite Band ist im März im Diamant-Verlag erschienen.“

Dr. Carola Roloff: Tibet und Buddhismus, 2002